Amazon hat mit seiner Verwendung von nicht-öffentlichen Händlerdaten wohl gegen die Kartellregeln der EU verstoßen. Das Vorgehen habe die Dominanz der Plattform auf dem eCommerce-Markt zementiert und Drittanbieter benachteiligt, erklärte Margrethe Vestager, die für Wettbewerb sowie Digitalpolitik zuständige Vizepräsidentin der Europäischen Kommission.
Die EU-Exekutive ist zu einer vorläufigen Entscheidung bezüglich einer Untersuchung gelangt, die bereits im vergangenen Jahr eingeleitet worden war, um Amazons Nutzung sensibler Daten unabhängiger Einzelhändler auf der Plattform zu überprüfen.
Vestager betonte diesbezüglich, es gebe klare Hinweise darauf, dass Amazon seinen Zugriff auf wichtige Informationen der Drittanbieter genutzt habe, um seine eigenen Angebote zu schützen oder zu stärken. So habe das Unternehmen „illegalerweise seine dominante Position in Deutschland und Frankreich ausgenutzt“.
„Unsere Untersuchung zeigt, dass sehr detaillierte Echtzeit-Geschäftsdaten, die sich auf die Listings und Transaktionen von Drittverkäufern auf der Amazon-Plattform beziehen, systematisch in den Algorithmus von Amazons eigenem Privatkundengeschäft einfließen“, sagte Vestager der Brüsseler Presse. Die Plattform sammle also in Echtzeit Daten über Verkäufe von Produkten anderer Anbieter und „entscheidet basierend darauf, welche neuen Produkte es selbst anbietet, wie hoch die einzelnen Preise sein müssen, wie die Lager genutzt werden und wer der beste Zulieferer für ein Produkt ist.“
Im Gegensatz dazu sollten die Regeln auf Amazon vielmehr „nicht künstlich die eigenen Angebote oder die Angebote von Verkäufern, die die Logistik- und Versanddienste von Amazon nutzen“, begünstigen, so die Kommissarin weiter.
Vestager präzisierte: „Unsere Sorge gilt nicht einmal so sehr den Einblicken, die Amazon in die sensiblen Daten eines bestimmten Verkaufs hat. Vielmehr geht es um die Einblicke, die Amazon in die kumulierten Geschäftsdaten von mehr als 800.000 aktiven Verkäufern in der Europäischen Union hat, die mehr als eine Milliarde Produkte abdecken. Mit anderen Worten: In diesem Fall geht es um Big Data.“
„Jetzt kaufen“
Derweil hat die Kommission ein zweites Kartellverfahren eingeleitet, um zu prüfen, ob Amazon eigene Angebote und Angebote von Verkäufern, die die Logistik- und Versanddienste des Konzerns nutzen, bevorzugt behandelt.
Dabei geht es insbesondere um die „Jetzt Kaufen“-Taste, die mit ihrer besagten Bevorzugung eine „wettbewerbswidrige Praxis“ darstellen könne. Die EU-Exekutive wolle nun Ermittlungen „mit Vorrang“ einleiten.
Amazon selbst betonte in Reaktion auf die beiden heutigen Ankündigungen, man sei sich keinerlei Fehlverhalten bewusst: „Wir stimmen mit den bisherigen Behauptungen der Europäischen Kommission nicht überein und werden weiterhin alle Anstrengungen unternehmen, um sicherzustellen, dass [die Kommission] ein genaues und korrektes Verständnis der Fakten hat,“ so eine Erklärung des Unternehmens.
Auch marktbeherrschend ist man nach eigener Ansicht nicht: „Amazon repräsentiert weniger als ein Prozent des globalen Einzelhandelsmarktes, und es gibt in jedem Land, in dem wir tätig sind, größere Einzelhändler,“ betont der Online-Riese.
Digital Services Act
Der angebliche Missbrauch von Händlerdaten durch das Unternehmen wäre eine Praxis, die im Rahmen des geplanten Digital Services Act (DSA) der Kommission, der am 2. Dezember vorgelegt werden soll, verboten werden könnte. Der DSA zielt darauf ab, ein neues Regelwerk für Online-Dienste zu schaffen.
In kürzlich geleakten Dokumenten umreißt die Kommission bereits eine Liste potenziell „unfairer“ Aktivitäten, die für eine Regulierung in Betracht gezogen werden könnte. Dazu gehören auch strengere Regelungen für Datenerfassungsaktivitäten durch sogenannte „Gatekeeper“-Plattformen, zu denen neben Amazon beispielsweise auch Google und Facebook gezählt werden.
„Gatekeeper dürfen Daten, die auf der Plattform selbst oder auf anderen Diensten der Gatekeeper erzeugt und gesammelt werden, nicht für ihre eigenen kommerziellen Aktivitäten verwenden, die sich an Verbraucher der betreffenden Plattform richten – es sei denn, sie machen diese Daten anderen gewerblichen Nutzern zugänglich, die in denselben kommerziellen Aktivitäten aktiv sind (oder dies werden wollen),“ heißt es in dem Dokument.
Dies würde also ein „Verbot der exklusiven Nutzung von Daten“ zum eigenen Wettbewerbsvorteil bedeuten.
Auf die Frage von EURACTIV.com bei der heutigen Pressekonferenz, ob die nun kritisierten Datensammel-Aktionen von Amazon somit unter die neuen DSA-Regelungen fallen könnten, wollte Vestager jedoch nicht weiter eingehen.
So geht’s (möglicherweise) weiter
Mit Blick auf die neuesten Vorwürfe hat Amazon nun die Möglichkeit, die Dokumente in der Untersuchungsakte der Kommission zu prüfen, schriftlich zu antworten und gegebenenfalls eine mündliche Anhörung zur Darlegung der Konzern-Argumente zu beantragen.
Sollte sich herausstellen, dass das Unternehmen gegen Artikel 102 des EU-Vertrags verstoßen hat (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung), drohen Geldbußen und/oder die Anordnung, diese Praxis zu korrigieren.
[Bearbeitet von Benjamin Fox und Tim Steins]