Die Europäische Kommission arbeitet an sogenannten „wesentlichen Leistungsindikatoren“ (Key Performance Indicators, KPI). Diese werden in die für März angepeilte Aktualisierung der EU-Industriestrategie aufgenommen. Die Indikatoren sollen die Transformation der europäischen Industrie und ihre Widerstandsfähigkeit in der Zeit nach der Pandemie besser messbar machen.
„Mit der Industriestrategie vom März 2020 haben wir einen Fahrplan für eine grüne, digitale und widerstandsfähige Zukunft vorgelegt. Die Marschrichtung bleibt unverändert, aber wir müssen unsere Industrietransformation beschleunigen und die Lehren aus der Pandemie ziehen – insbesondere, wie wir unsere wirtschaftlichen und geopolitischen Abhängigkeiten in einer Reihe von Bereichen wie pharmazeutische Inhaltsstoffe, Batterien, Rohstoffe, Wasserstoff und Halbleiter reduzieren können,“ so Binnenmarktkommissar Thierry Breton gegenüber EURACTIV.com.
Die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder hatten die Kommission zuvor damit beauftragt, die strategischen Abhängigkeiten der EU-Industrie auszuloten und entsprechend zu versuchen, internationale Handelspartner zu diversifizieren und mehr in strategische Produkte, Dienstleistungen und Infrastrukturen zu investieren.
„Wir entwickeln eine Reihe von wesentlichen Leistungsindikatoren, um unseren gemeinsamen Fortschritt bei der Umsetzung unserer Pläne zu messen,“ erklärte Breton.
Trotz diverser Industriestrategien, die die Kommission in den vergangenen Jahren vorgeschlagen hatte, ist es der EU bisher nicht gelungen, das verarbeitende Gewerbe zu wandeln, beziehungsweise dessen Anteil an der Wirtschaft zu erhöhen.
Statt eines sektoralen Ansatzes legte die Kommission daher im vergangenen März 14 Schwerpunkte fest, darunter auch Tourismus, Einzelhandel oder Agrar-Nahrungsmittel. Damit sollte die Dynamik der EU-Industrie besser erfasst und auch die Verbindungen zwischen verschiedenen Akteuren, inklusive Zulieferern oder Start-ups verbessert werden.
„Kartierung“ der Industrie-Lage
Als Teil der nun zu aktualisierenden Strategie arbeitet die Kommission offenbar an drei Fronten: an einer „Matrix“ als Übersicht über die einzelnen Industriesektoren, an einzelnen Anwendungsfällen und an eben jenen besagten KPIs.
Die sogenannte „Matrix“ (oder „Kartierung“) der Industriesektoren soll umfassende Überblicke und Diagnosen zur gesamten Wertschöpfungs- und Lieferkette ermöglichen, um potenzielle Probleme und Bedürfnisse zu identifizieren.
Sobald diese Bedürfnisse klar sind, wird die EU ihre vorhandenen Instrumente (Finanzierung, Regulierung, Handels- und Wettbewerbsinstrumente und neue bereichsübergreifende Allianzen) einsetzen, „um den einzelnen [Branchensystemen] dabei zu helfen, sich zu erholen, sich in Richtung grüner und digitaler Wende zu transformieren sowie widerstandsfähiger zu werden,“ fasste Kerstin Jorna, Generaldirektorin der Kommission für Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU, während einer von EURACTIV organisierten Veranstaltung im Dezember zusammen.
„Für den digitalen und grünen Übergang ist es wichtig, zu zeigen, dass es umsetzbare Anwendungsfälle gibt – und dann die Matrix zu nutzen, um zu sehen, wie wir den Prozess mit unseren Tools bestmöglich begleiten können,“ fügte Jorna damals hinzu.
Angesichts der eher enttäuschenden Umsetzung vergangener Strategien möchte die Kommission die erzielten Fortschritte nun möglichst genau messen.
Zu diesem Zweck wird die EU-Exekutive eine Reihe von KPIs vorschlagen, die sie offenbar der Privatwirtschaft entlehnt. Allerdings will man bei der Brüsseler Behörde nicht ausschließlich den Input messen (wie beispielsweise die Forschungsausgaben), sondern auch den Output, zum Beispiel in Bezug auf die Widerstandsfähigkeit des verarbeitenden Sektors.
Portugals Regierung, die derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, räumte bereits ein, dass die Gestaltung der KPIs eine „Herausforderung“ sein dürfte: Rui Durao, hochrangiger Beamter im portugiesischen Wirtschaftsministerium, warnte diesbezüglich, die Tests und Messungen dürften nicht zu einer Art „Pranger“ werden, an dem hinterherhinkende Branchen kritisiert werden.
Außerdem müsse penibel darauf geachtet werden, dass die geplanten Indikatoren auf absolut verlässlichen Daten beruhen.
EU-Parlament, Industrie-Lobby und Gewerkschaften offen für Indikatoren
Das Europäische Parlament hatte im Oktober seinerseits in einem vom italienischen Abgeordneten Carlo Calenda (S&D) verfassten Bericht die Kommission aufgefordert, „ein System von wesentlichen Leistungsindikatoren einzuführen, um unter Berücksichtigung der KMU-Dimension eine Ex-ante-Folgenabschätzung für die Vorschriften und Instrumente der Union sowie für die möglichen erforderlichen Investitionen durchzuführen und die Fortschritte und Ergebnisse zu überwachen.“
Dieses KPI-System solle „an Zielen ausgerichtet sein, die spezifisch, messbar, erreichbar, relevant und zeitorientiert sind.“
Der European Round Table for Industry (ERT) hatte im vergangenen November ebenfalls ein „KPI-Scoreboard“ vorgeschlagen, um die Implementierung und Performance im Rahmen der Industriestrategie zu messen.
Der Unternehmenslobbyverband erklärte, das besagte Scoreboard solle auf fünf Wirkungsindikatoren (Bruttowertschöpfung, Beschäftigung, Löhne und Gehälter, Anlageinvestitionen und Exporte) sowie insgesamt 28 spezifischen KPIs mit Zielen bis 2030 basieren, die sich wiederum auf vier Kategorien verteilen (Produktionsleistung, interne Prozesse, Zukunftsorientierung und globale Beziehungen).
Auch Gewerkschaften zeigten sich offen für eine tiefergehende Analyse der einzelnen Wirtschaftsbereiche. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass die Fragmentierung der Industrielandschaft nach der Pandemie aufgrund der individuellen – und unterschiedlich groß ausfallenden – nationalen Konjunkturpläne fortbestehe oder sich sogar noch ausweite, warnte Judith Kirton-Darling, stellvertretende Generalsekretärin der Gewerkschaft IndustryAll.
[Bearbeitet von Benjamin Fox und Tim Steins]