Kommission: Corona führt „sehr wahrscheinlich“ zu Rezession

Nicht nur über dem (geschlossenen) Louvre in Paris ziehen Wolken auf: Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus könnten beachtlich sein. [EPA-EFE/YOAN VALAT]

Die Europäische Kommission teilte am vergangenen Freitag mit, das Coronavirus werde die europäische Wirtschaft in diesem Jahr „sehr wahrscheinlich“ in eine Rezession stürzen. Die EU-Exekutive warnte weiter, die wirtschaftliche Erholung im kommenden Jahr werde vor allem von der entschlossenen Reaktion der Mitgliedstaaten abhängen.

Vor diesem Hintergrund erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, „dass wir alles tun werden, was notwendig ist, um die Europäerinnen und Europäer sowie die europäische Wirtschaft zu unterstützen“.

Für die Kommission besteht die Priorität darin, der europäischen Wirtschaft verstärkt Liquidität zuzuführen, um dem Gesundheitssektor und den in Schwierigkeiten geratenen Unternehmen (insbesondere kleinen und mittelständischen Firmen) alle benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen.

Von der Leyen versprach daher „maximale Flexibilität“ bei der Umsetzung der EU-Regeln für staatliche Beihilfen sowie des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Somit würden die Mitgliedsstaaten während der Krise nicht durch das Wirtschaftsregelwerk des Blocks eingeschränkt.

Darüber hinaus sollen insgesamt acht Milliarden Euro an bisher nicht ausgegebenen EU-Mitteln für Aktionen im Zusammenhang mit der Pandemie umgeleitet werden.

„Die Situation entwickelt sich sehr schnell,“ sagte von der Leyen. „Wir sind bereit, mehr zu tun, wenn sich die Lage weiter verschärft.“

(Finanz-)Spritzen gegen das Coronavirus?

Die EU-Länder denken über einen koordinierten finanzpolitischen Impuls zur Ankurbelung der Wirtschaft nach. Befürchtet wird, dass das Coronavirus die Eurozone in eine Rezession stürzen könnte.

Temporäre Rezession 

Maarten Vervey, der Generaldirektor für Wirtschaft und Finanzen der Kommission, räumte ein, dass sich die aktuellen Wachstumsprognosen „sehr schnell verschlechtern“. Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Schocks, die durch das Coronavirus und die Eindämmungsmaßnahmen ausgelöst wurden, sei es „sehr wahrscheinlich, dass das Wachstum für die Eurozone und die EU insgesamt unter Null Prozent, und möglicherweise sogar deutlich darunter, liegen wird“, so Vervey.

Er fügte hinzu, dass die genauen Wachstumszahlen im Mai bekannt gegeben werden, sobald die Kommission ihre Wirtschaftsprognose aktualisiert hat.

Die schwerwiegenden Auswirkungen des Virus spiegeln sich allerdings bereits in den negativen Prognosen wider, die in den letzten Wochen veröffentlicht wurden: Die Kommission selbst prognostizierte im vergangenen Monat, dass die Wirtschaft der Eurozone in diesem Jahr um 1,2 Prozent und die der gesamten EU um 1,4 Prozent wachsen wird. Bei diesen Berechnungen war das Virus jedoch noch nicht berücksichtigt worden. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat das Wachstum in der Eurozone Anfang des Monats indes auf 0,8 Prozent gesenkt. Dieselbe Prognose wurde am Donnerstag von der EZB veröffentlicht.

Die Zentralbank fügte jedoch hinzu, dass auch ihre Prognose „teilweise überholt“ sei, da der Stichtag vor zwei Wochen lag. Somit seien viele der von den EU-Regierungen getroffenen Eindämmungsmaßnahmen nicht berücksichtigt.

Kommission will angesichts der Corona-Krise das Überleben von Unternehmen sichern

Die Europäische Kommission sei äußerst bemüht, dafür zu sorgen, dass Großunternehmen und KMU die wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus überleben, stellte der EU-Industriekommissar Thierry Breton am gestrigen Montag klar.

Derweil will die Europäische Kommission mehr Druck auf die Mitgliedsstaaten ausüben, damit diese neue Konjunkturprogramme annehmen und die am stärksten betroffenen Sektoren unterstützen. Die Kommission schloss sich den wiederholten Forderungen der EZB nach einer „ehrgeizigen und koordinierten“ finanzpolitischen Reaktion an.

Die EU-FinanzministerInnen treffen sich am heutigen Montag, um wirtschafts- und finanzpolitische Antworten auf das Coronavirus zu diskutieren. Die Regierungen und die EU-Institutionen sind sich dabei einig, dass entschiedene und entschlossene Maßnahmen ergriffen werden müssen, um dafür zu sorgen, dass die Auswirkungen der Pandemie lediglich vorübergehend sind, und zu verhindern, dass Corona der Wirtschaft dauerhaften Schaden zufügen kann.

8 bis 37 Milliarden Euro 

Von der Leyen betonte am Freitag, die geplanten wirtschaftlichen Reaktionen von EU-Seite seien „stark“ und müssten „gezielt“ umgesetzt werden, um bedürftige Sektoren zu unterstützen. Die wichtigste wirtschaftliche Maßnahme wird die Neuzuweisung von acht Milliarden Euro an bisher nicht ausgegebenen EU-Strukturfonds sein, die sich schon im Besitz der Mitgliedsstaaten befinden. Diese sollen nun für Schwerpunkte im Zusammenhang mit der Coronavirus-Krise verwendet werden.

Die Mitgliedsstaaten sind eigentlich verpflichtet, diese für EU-Projekte bereitgestellten Vorfinanzierungsmittel im Mai an Brüssel zurückzuzahlen. Die Kommission schlägt jedoch eine sofortige Änderung der Gesetzgebung vor, damit die Mitgliedstaaten die Gelder zur Stärkung der Gesundheitssysteme, zur Unterstützung rentabler KMU mit Liquiditätsproblemen, oder zur Förderung von kurzfristig freigestellten Arbeitnehmenden verwenden können.

Darüber hinaus legt die EU-Exekutive nahe, dass die Mitgliedstaaten diese Mittel in Form einer Kofinanzierung mit nationalen Geldern verwenden sollten, die sie bereitstellen müssen, um zusätzliche EU-Mittel freizusetzen. Damit könnte bereits eine Gesamtsumme von 37 Milliarden Euro mobilisiert werden – deutlich mehr als die 25 Milliarden Euro, die von der Kommission bei der Vorstellung des Liquiditätspakets Anfang vergangener Woche geschätzt wurden.

Börsen wegen Corona-Virus auf Talfahrt

Der Corona-Virus legt die weltweite Wirtschaft lahm: Der deutsche Dax verlor so viele Punkte wie seit dem 11. September 2001 nicht mehr.

Es wird jedoch keinen Transfer zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten geben, obwohl einige Länder, die weniger vom Coronavirus betroffen sind, wie beispielsweise Polen, dann wohl erheblich mehr EU-Ressourcen haben werden als einige stärker betroffene Länder wie Italien.

Die Kommission räumte ein, dass dies „keine optimale Zuteilung“ von Mitteln sei. Gert Jan Koopman, Generaldirektor für Haushalt (BUDG), erklärte aber, man wolle den Umfang der Neuerungen begrenzen, so dass die rechtlichen Änderungen vom Europäischen Parlament und den Mitgliedsstaaten schnellstmöglich innerhalb von zwei Wochen genehmigt werden könnten. Eine vollständige Neugestaltung und Verlagerung der Mittel würde die Genehmigungsprozesse hingegen verlangsamen, und die Mittel kämen somit „zu spät an, um relevant zu sein“, erläuterte er.

Zusätzlich zu diesen zugesagten Geldern erklärte die EU-Exekutive, man erachte die Auswirkungen des Coronavirus auch als relevant für den Solidaritätsfonds der Union. Die Zugangskriterien zu diesem Topf wurden daher erheblich gesenkt. Die Mitgliedsstaaten könnten somit auf weitere rund 800 Millionen Euro zugreifen, die derzeit in diesem Fonds zur Verfügung stehen.

Flexibilität

In ihrer Pressekonferenz mit von der Leyen versprachen auch die Kommissionsmitglieder Margrethe Vestager (Wettbewerb) und Valdis Dombrovskis (Wirtschaft), die volle Flexibilität der EU-Vorschriften zu nutzen, um außerordentliche Maßnahmen der Mitgliedsstaaten zur Unterstützung ihrer Wirtschaft zu berücksichtigen.

Beide deuteten die Möglichkeit an, die Auflagen und EU-Vorschriften je nach Entwicklung der Situation weiter zu lockern.

Dombrovskis über EU-Finanzvorschriften, Coronavirus und übermäßige Ungleichgewichte

Die Europäische Kommission werde bei der Bewertung ihrer Bemühungen, ihre öffentlichen Konten auszugleichen, mit Italien und anderen vom Coronavirus betroffenen Mitgliedsstaaten „flexibel“ sein, erklärte der Vizepräsident der Europäischen Kommission Valdis Dombrovskis.

Vestager teilte mit, ihre Dienststellen würden mit den nationalen Regierungen zusammenarbeiten, um Programme zur Unterstützung von Wirtschaftssektoren einzurichten, die größere Schäden erlitten haben. Auch staatliche Subventionen könnten so zügig von EU-Beamten genehmigt werden. Vestager fügte hinzu, ihr Team bereite bereits einen vorläufigen Rahmen vor, der dem nach der Finanzkrise verwendeten System ähnelt, und mit dem Entscheidungen über staatliche Beihilfen schneller genehmigt werden können.

Dombrovskis betonte seinerseits, die zusätzlichen Ausgaben der Mitgliedsstaaten seien „außergewöhnliche Maßnahmen“ zur Bewältigung unvorhergesehener Ereignisse und würden daher von der Schätzung der Defizit- und Schuldenschwellenwerte, die die Kommission überwacht, ausgeschlossen.

Darüber hinaus fügte er hinzu, die Kommission sei „bereit“, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt enthaltene allgemeine Schutzklausel zu aktivieren. Mit dieser Klausel können die finanzpolitischen Zielvorhaben für einzelne Länder aufgrund einer schweren Wirtschaftsrezession ausgesetzt werden. Der Auslösung dieser Klausel müssen die anderen EU-Staaten allerdings zustimmen.

[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]

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