Seit Montag steht Griechenland offiziell wieder auf eigenen Füßen. Athen bleibt dennoch unter strenger EU-Aufsicht. Experten zweifeln an der Kreditfähigkeit des Lands.
Spanien, Irland, Portugal, Zypern – sie alle befanden sich in den letzten Jahren zeitweise unter dem so genannten Euro-Rettungsschirm. Doch nirgends ging der Prozess so tief wie in Griechenland. Nach acht Jahren, drei Programmen und knapp 300 Milliarden Euro so genannter Rettungskrediten, kehrte das Land gestern formell zurück in die Eigenständigkeit.
Allzu viel ändern dürfte sich dadurch jedoch nicht. Zwar weißt die EU weit von sich, dass es sowas wie ein informelles viertes Programm gibt, doch die vereinbarte „verstärkte Überwachung“ weist viel Ähnlichkeit mit einem solchen Programm auf: weiterhin muss Griechenland Ausgaben kürzen, wenn die Konsolidierungsziele aus dem Blick geraten, weiterhin kontrollieren EU-Kommission und EZB die Umsetzung der Maßnahmen, weiterhin bekommt die Regierung in Athen als Gegenleistung Schuldenerleichterungen.
Der Unterschied zwischen einem weiteren Programm und der verstärkten Überwachung ist letztlich eher symbolischer Natur. Politisch ist er durchaus wichtig, denn ein weiteres Programm wäre ein Eingeständnis des Scheiterns und weder in Griechenland noch in den Geberländern ohne weiteres durchsetzbar gewesen.
Entsprechend zuversichtlich zeigte sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker: „Der Abschluss des Stabilitätshilfeprogramms ist für Griechenland und Europa ein bedeutender Moment. Die europäischen Partner haben ihre Solidarität unter Beweis gestellt, und die Griechen haben – so wie wir sie kennen – auf jede Herausforderung mit Mut und Entschlossenheit reagiert“, sagte er anlässlich des Programmendes.
Auch Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici gab sich trotz seiner jüngsten Kritik an der Rettungspolitik optimistisch. Der Abschluss des Programms sei „sowohl für Griechenland als auch für das Euro-Währungsgebiet sehr positiv. Für Griechenland und seine Bevölkerung beginnt nach acht ausgesprochen schwierigen Jahren ein neues Kapitel.“ Nun könne ein „symbolischer Schlussstrich“ unter die existenzielle Krise des Euro-Währungsgebiets gezogen werden.
Zweifel am Erfolg der Rettungspolitik
Doch wie erfolgreich war die Rettungspolitik? Der öffentliche Schuldenstand hat sich seit Beginn des ersten Programms 2010 kaum verändert. Verändert hat sich vor allem die Gläubigerstruktur. Waren es 2010 vor allem Banken – allen voran französische und deutsche – bei denen Athen in der Kreide standen, wurden deren Forderungen durch die Programm-Kreditlinien von der öffentlichen Hand abgelöst. Dass die Handelsbilanz heute ausgeglichener ist, hat mehr mit einem Rückgang der Importe, als mit einem Zuwachs der Exporte zu tun. Auch für die Menschen in Griechenland hat sich wenig verbessert: Sie zahlten die Krise mit umfassenden Rentenkürzungen, Arbeitsmarktliberalisierungen, Steuererhöhungen und der Gleichen mehr.
Nun haben auch die Wissenschaftler des Freiburger Centrums für Europäische Politik (cep) Zweifel geäußert, ob Griechenland tatsächlich schon reif ist, sich wieder selbst über die Finanzmärkte zu refinanzieren. Anlässlich des Programmendes veröffentlichten sie am Montag ihren Default-Index für Griechenland. Dieser misst „wie sich die Kreditfähigkeit einer Volkswirtschaft insgesamt – also nicht nur die des Staates – entwickelt. Er berücksichtigt neben dem Staat auch das Kreditverhalten der Finanzwirtschaft, Unternehmen und Konsumenten.“
Das Fazit der Autoren fällt eindeutig aus: „Griechenland ist nach wie vor nicht kreditfähig. Der Weg zur Wiederherstellung der Kreditfähigkeit ist noch weit“, heißt es in der Untersuchung. Dafür werden drei Ursachen benannt: Erstens schrumpfe der Kapitalstock Griechenlands schon seit sieben Jahren. Zweitens gebe es weiterhin einen Mangel an Wettbewerbsfähigkeit. Drittens sei die Konsumquote zu hoch.
Diese Schwächen haben durchaus mit der Rettungspolitik zu tun. Schließlich wurden die öffentlichen Investitionen auch auf Geheiß der Gläubiger-Institutionen drastisch zurückgefahren, was sich unter anderem negativ auf den Kapitalstock auswirkt. Die hohe Konsumquote von 107 Prozent hängt vor allem damit zusammen, dass die Einkommen der Griechen im Zuge der Rettungspolitik eingebrochen sind, nicht etwa damit, dass sie heute mehr Geld ausgeben als früher. Auch eine hinreichende Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit konnte durch die Maßnahmen nicht erreicht werden. Stattdessen sind viele qualifizierte Griechen ausgewandert, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive mehr sahen.
Allzu laut sollten die Sektkorken in Brüssel und Athen ob des formellen Programmendes also nicht knallen. Auch wenn dieser Tage gerne das Gegenteil beschworen wird: Dass die Griechenland-Krise endgültig vorbei ist, ist leider eher unwahrscheinlich.