Im Vorfeld des Eurogipfels Ende Juni hat die EU-Kommission am gestrigen Donnerstag Vorschläge für ein Reformhilfeprogramm und eine Stabilisierungsfunktion vorgelegt. So soll die Währungsunion vertieft, aber auch erweitert werden.
Überraschend kam die Initiative nicht. Bereits im so genannten Nikolaus-Paket vom Dezember 2017 waren sie zwischen aufsehenerregenden Vorschlägen wie der Schaffung eines EU-Finanzministeriums oder dem Aufbau eines Europäischen Währungsfonds erhalten – in der Mitteilung mit dem schönen Titel „Neue Haushaltsinstrumente für ein stabiles Euro-Währungsgebiet innerhalb des Unionsrahmens“. Was gestern vorgelegt wurde ist also eher als Konkretisierung zu verstehen. Es geht darum, die Vorschläge rechtzeitig in Rechtsform zu gießen, damit sie im Haushaltsplan berücksichtigt werden können. Was steckt dahinter?
Mit dem Reformhilfeprogramm will die Kommission Anreize zu wirtschaftspolitischen Reformen in dem Mitgliedsstaaten setzen, die diese Staaten sonst nicht durchführen würden. Seit Jahren sind die EU-Institutionen bestrebt, ihre wirtschaftsliberale Agenda auch in Bereichen durchzusetzen, in denen sie keine Kompetenzen haben und daher auf die Mithilfe der Mitgliedsstaaten angewiesen sind.
Konnten entsprechende Reformen während der Eurokrise noch mit so genannten Troika-Programmen erzwungen werden, wo Mitgliedsstaaten mit dem Rücken zur Wand standen und die öffentlichen Kredite des ESM dringend brauchten, haben sich zwanglose Instrumente wie das Europäische Semester als zahnlose Tiger erwiesen. Daher soll nun ein Budget geschaffen werden, mit dem Reformen „gekauft“ werden können. Entsprechend wird in der Mitteilung auch direkt Bezug auf das Europäische Semester genommen. Für derartige Deals wurden im Vorschlag für die nächste Haushaltsperiode bereits 22 Milliarden Euro veranschlagt.
Zudem enthält das Programm eine so genannte Konvergenzfazilität mit einem Volumen von 2,16 Milliarden Euro. Damit sollen EU-Mitgliedsstaaten auf dem Weg in die Währungsunion unterstützt werden. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte schon im vergangenen Dezember klargestellt, dass er die Eurozone am liebsten auf die gesamte EU ausdehnen würde. Diesem Ziel will sich die Kommission nun dadurch nähern, dass sie beitrittswilligen Mitgliedsstaaten finanzielle Unterstützung für jene Maßnahmen anbietet, die erforderlich sind um die Beitrittskriterien zu erfüllen.
Die zugleich vorgeschlagene Investitionsstabilisierungsfunktion soll hingegen vor allem zur Anwendung kommen, wenn eine akut krisenhafte Situation zu entstehen droht. Die Idee: Wenn in einem Euroland (oder einem Bald-Euroland) krisenhafte Entwicklungen die Wirtschaft ausbremsen sollen rasch Hilfskredite von bis zu 30 Milliarden Euro mobilisiert werden, durch die das betroffene Land in die Lage versetzt wird, das Investitionsniveau aufrecht zu erhalten. Gesichert werden sollen die Kredite durch den EU-Haushalt, in dem ein entsprechender Posten vorgesehen ist. Zudem sollen die Mitgliedsstaaten einen Fonds speisen, aus dem das betroffene Land Unterstützung bei der Zinslast bekommen soll.
Eine solche Investitionsfunktion wäre ein Fortschritt gegenüber den Troika-Programmen, bei denen immer auch die öffentlichen Investitionen abgesenkt wurden, was die wirtschaftliche Entwicklung zusätzlich ausbremste und so die Krise letztlich verschärfte. Der Haken sind die Zugangsvoraussetzungen. So soll ein Mitgliedsstaat nur Zugang zu der Funktion haben, wenn zuvor „strenge Kriterien für eine solide Wirtschafts- und Haushaltspolitik erfüllt sind.“ Da heißt es dann doch wieder: Liberalisieren, Privatisieren, Kürzen. Aber: Wer sich fleißig in die Krise gekürzt hat, hat danach immerhin Anspruch Unterstützung, wenn er sich wieder rausarbeiten will.
Juncker ließ bei der Vorstellung der Vorschläge die gebührenden Portion Pathos nicht missen: „Die Wirtschafts- und Währungsunion soll in erster Linie das Leben aller Europäerinnen und Europäer verbessern. Anlässlich des 20. Jahrestags der Gründung unserer gemeinsamen Währung ist es an der Zeit, in die Zukunft zu schauen und die EU und den Euroraum mit den Instrumenten auszustatten, die für die Mehrung des Wohlstands und eine höhere Stabilität erforderlich sind“, sagte er. Durch die Vorschläge will er „die schützende und einigende Kraft erhalten“, für die die Währungsunion ursprünglich ins Leben gerufen worden sei.
Junckers für Euro, sozialen Dialog und Finanzstabilität zuständiger Vize, Valdis Dombrovskis, ergänzte: „Heute machen wir die nächsten Schritte zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion. Durch die Förderung von Reformen in den Mitgliedstaaten und die Stabilisierung öffentlicher Investitionen in Zeiten nachlassender Konjunktur werden die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen die Widerstandsfähigkeit unserer Volkswirtschaften und des Euro-Währungsgebiets insgesamt stärken.“
Ob sich die Vorschläge beim Eurogipfel durchsetzen lassen, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Wie weit vor allem Berlin und Paris in Fragen des Fortgangs der Eurozone auseinander liegen, wurde zuletzt beim Staatsbesuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in der Bundeshauptstadt offenbar. Und während sich die beiden größten Euro-Länder in den Haaren liegen, haben Nummer drei und vier mit politischen Umbrüchen zu tun. In Italien übernimmt heute eine eurokritische Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega die Amtsgeschäfte. In Spanien wurde am Mittag Ministerpräsident Mariano Rajoy abgewählt. Sein Nachfolger, Pedro Sanchez, verfügt indes über keine stabile Mehrheit.
In dieser Gemengelage können die Vorschläge der Kommission als mehr oder weniger verzweifelter Kompromissversuch gewertet werden: Berlin bekommt Strukturreformen mit denen sich die Defizitländer stärker dem deutschen Exportmodell anpassen, Paris bekommt eine finanzielle Aufwertung der Eurozone, Rom und Madrid öffentliche Investitionen. Ob das aufgeht, ist jedoch ungewiss. Zu viele Wenns, Abers, so genannte Populisten und kleine Mitgliedsstaaten scheinen dem gegenwärtig noch im Wege zu stehen.