EZB-Präsident Mario Draghi hat die EU-Gesetzgeber am Montag erneut aufgefordert, eine gemeinsame „Fiskalkapazität“ zu schaffen, um wirtschaftlichen Schocks in der Eurozone zu begegnen. In seiner Abschiedsdebatte mit den EU-Parlamentsabgeordneten verwies er auch auf die sich verschlechternden wirtschaftlichen Aussichten.
In einer Rede vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des EU-Parlaments verteidigte der Präsident der Europäischen Zentralbank die vor zwei Wochen eingeleitete „starke monetäre Antwort“ auf den wirtschaftlichen Abschwung. Diese sei notwendig geworden, da die die Wirtschaftsflaute „schneller und ausgedehnter als bisher erwartet“ ausfalle. Draghi warnte auch vor „anhaltenden und ausgeprägten Abwärtsrisiken für die Wachstumsaussichten“ sowie vor einer „weiteren Verzögerung bei der Inflationskorrektur auf unser Ziel“.
Die niedrigen Zinsen der EZB, billige Kredite an Banken und Anleihenkaufprogramme würden jedoch nicht ausreichen, um die europäische Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen: „Wir brauchen eine kohärente Wirtschaftsstrategie im Euroraum, die die Wirksamkeit der Währungspolitik ergänzt und unterstützt.“
Draghi hatte schon Anfang des Monats in Frankfurt betont, die Mitgliedstaaten müssten Verantwortung übernehmen, indem sie fiskalische Impulse setzen und Strukturreformen vorantreiben. Nur so könne der Gefahr einer tieferen Rezession entgegengewirkt werden.
Unter Hinweis auf seine ersten Ausführungen vor dem EU-Parlamentsausschuss im Jahr 2011 forderte er außerdem erneut, die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) müsse mit einer leistungsfähigen „Fiskalkapazität“ ausgestattet werden, um die Euro-Mitglieder zu unterstützen, wenn ihre Wirtschaften plötzlichen Turbulenzen ausgesetzt sein sollten.
Sowohl der französische Präsident Emmanuel Macron als auch die Europäische Kommission haben in den vergangenen Jahren mehrfach einen solchen gemeinsamen Haushalt für die Eurozone gefordert. Der Vorschlag stößt bisher jedoch auf heftigen Widerstand einer Gruppe von Ländern unter Führung der Niederlande.
Die EU-Finanzminister erörtern derzeit die Einzelheiten einer abgeschwächten Version, die voraussichtlich bis Ende dieses Jahres unterzeichnet wird. Dieses neue Instrument würde jedoch nicht die von der EZB geforderte „antizyklische Dimension“ beinhalten, sondern lediglich Reformen und Investitionen unterstützen.
„Ich erkenne die politischen Schwierigkeiten beim Aufbau eines solchen Instruments im Euroraum voll und ganz an. Ähnliche Schwierigkeiten bestehen auch bei der Diskussion über die Vollendung der Bankenunion und die Schaffung einer echten Kapitalmarktunion,“ räumte Dragi gegenüber den EU-Abgeordneten ein.
Er warnte jedoch davor, dass ein Nicht-Beachten „der Notwendigkeit, die verbleibenden institutionellen Schwächen der WWU zu beheben“ die Errungenschaften gefährden würde, „die durch das Engagement und die harte Arbeit aller Beteiligten bereits erreicht wurden“.
Schlechte Aussichten
Draghis letzte Anhörung vor dem Parlamentsausschuss fand vor dem Hintergrund einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in der Eurozone statt, die, so Draghi, „größer ausfällt, als wir bisher erwartet hatten“. Die EZB rechnet inzwischen mit einem Wachstum von 1,1 Prozent im Jahr 2019 – ein Rückgang um 0,6 Prozentpunkte gegenüber den Prognosen vom Dezember 2018 – sowie 1,2 Prozent im Jahr 2020, ein Rückgang um 0,5 Prozentpunkte gegenüber der Dezemberprognose.
„Jüngste Daten und Zukunftsindikatoren – beispielsweise neue Exportaufträge in der verarbeitenden Industrie – zeigen keine überzeugenden Anzeichen für eine Erholung des Wachstums in naher Zukunft. Die Wachstumsaussichten bleiben eher nach unten gerichtet. Und je länger die Schwäche des verarbeitenden Gewerbes anhält, desto größer sind die Risiken, dass andere Wirtschaftszweige von dieser Abschwächung ebenfalls betroffen sein werden,“ fügte der EZB-Chef hinzu.
Der Italiener erklärte weiter, der Handelskrieg der USA und andere geopolitische Faktoren beeinträchtigten die europäische Produktion und das wirtschaftliche Vertrauen, insbesondere im verarbeitenden Gewerbe.
Dabei sei Deutschland „eines der Mitglieder des Euroraums, das am stärksten von der Konjunkturabschwächung betroffen ist“, da der Anteil seines verarbeitenden Gewerbes mit 39 Prozent deutlich über dem Gesamtbeitrag der Bundesrepublik zum Eurozonen-BIP (rund 28 Prozent) liegt. In der vergangenen Woche hatte die Bundesregierung einen fiskalischen Impuls von 54 Milliarden Euro vorgelegt. Damit soll der Übergang zu einer „grünen“ Wirtschaft erleichtert und das angeschlagene Wirtschaftswachstum gestützt werden.
Draghi selbst wird am 24. Oktober zum letzten Mal eine Sitzung der EZB-Führung leiten; am 1. November übernimmt die scheidende IMF-Chefin Christine Lagarde. Sie ist dann die erste Frau, die der Zentralbank der EU vorsteht.