Mit viel Spannung wurde der Vorschlag der Kommission zum EU-Haushalt ab 2021 erwartet. Schon in der Vergangenheit war es nicht einfach, eine Einigung zu finden. Diesmal sind die Voraussetzungen noch undankbarer.
„Die schlechten Erfahrungen aus dem Jahr 2013 dürfen sich nicht wiederholen“, sagte EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger, als er im Februar seine Vorschläge für nächsten den mehrjährigen Finanzrahmen vorlegte. Sollte sich das wiederholen, könnten laut Oettinger zahlreiche EU-Projekte in Bereichen wie Unternehmensförderung oder Energieeffizienz nicht rechtzeitig anlaufen. Er appellierte daher an die Flexibilität und Kompromissbereitschaft der Mitgliedsstaaten.
Das ist anspruchsvoll. Ging es 2013 vor dem Hintergrund der Eurokrise um einen klassischen Nettozahler-Konflikt – die Zahler wollen weniger zahlen, die Empfänger mehr empfangen – kommen diesmal neue Hürden hinzu. Eine davon ist der Brexit. Das Ausscheiden des zweitgrößten Nettozahlers reißt nach EU-Schätzungen eine Lücke von 12 bis 14 Milliarden Euro ins Budget. Gleichzeitig sieht die EU eine Reihe neuer Herausforderungen, deren Bewältigung kostspielig ist. Genannt seien exemplarisch die Verteidigungsunion, der Grenzschutz, die digitale Agenda und die Eurostabilisierung – Bereiche, in denen die EU eine größere Rolle spielen will und nach Auffassung vieler nationalstaatlicher Regierungen auch soll, für die sie aber auch entsprechend finanziell ausgestattet werden müsste.
So hat die Kommission ihren am heutigen Mittwoch präsentierten Vorschlag mit heißer Nadel gestrickt. „Heute ist ein wichtiger Moment für unsere Union. Die neue Haushaltsplanung bietet die Chance, unsere Zukunft als neue, ambitionierte Union der 27 zu gestalten, in der alle Mitgliedsstaaten in Solidarität miteinander verbunden sind“, zeigte sich Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zuversichtlich. Mit dem heutigen Vorschlag habe man einen pragmatischen Plan vorgelegt, wie man mit geringeren Mitteln mehr erreichen kann. Der konjunkturelle Rückenwind verschaffe zwar eine Atempause, werde „uns aber nicht vor Einsparungen in einigen Bereichen verschonen.“
Moderate Budgetsteigerung und mehr Eigenmittel
Haushaltskommissar Günther Oettinger ergänzte: „Bei diesem Budget-Vorschlag geht es um echten europäischen Mehrwert. Wir investieren noch mehr in Bereichen, in denen ein einzelner Mitgliedsstaat allein keine Lösungen finden kann oder in denen ein gemeinsames Handeln einfach effizienter ist. Beispiele dafür sind Forschung, Migration, Grenzkontrolle oder Verteidigung. Und wir finanzieren weiterhin Maßnahmen in traditionellen, aber modernisierten Politikbereichen wie der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Kohäsionspolitik. Denn es ist in unser aller Interesse, dass unsere landwirtschaftlichen Produkte hohen Standards genügen und Regionen wirtschaftlich aufholen.“
Dem Vorschlag zufolge soll das Budget nur moderat ansteigen – von 1,08 auf 1,11 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Das EU-Parlament hatte im Vorfeld 1,3 Prozent gefordert. Entsprechend enttäuscht zeigten sich viele Abgeordnete. So sagte etwa Martina Michels von der Linksfraktion: „Über die Fraktionsgrenzen hinweg forderte das Europaparlament eine sachlich begründete Untergrenze für den Finanzrahmen von wenigstens 1,3 Prozent des EU-BIP. Wider besseren Wissens also schlägt die Kommission mit Ankündigung einen deutlich unterfinanzierten Haushalt von 1,11 Prozent vor.“ Die als ausgemacht geltenden, neuen und zusätzlichen Verteidigungs-, Sicherheits- und Grenzabschottungsvorhaben stelle die Kommission dabei ins Rampenlicht. So gebe es erstmals eine Haushaltsrubrik Sicherheit und Verteidigung.
Dabei will die EU-Kommission nicht nur neue Töpfe aufmachen, sondern auch alte schmälern. Vor allem bei den beiden größten Ausgabenposten soll gekürzt werden. So sollen die Zuweisungen für die Agrar- und die Kohäsionspolitik um jeweils rund fünf Prozent sinken. Zudem will die EU neue Eigenmittel – und sich damit auch mehr politische Handlungsspielräume sichern. Vorgeschlagen werden hierfür unter anderem Mittel aus dem Emissionszertifikatehandel und aus einer neuen Abgabe auf Plastikmüll.
Ärger mit Polen und Ungarn in Sicht
All das ist im besten Fall der Stoff aus dem politische Deals gemacht werden. Weniger Spielraum für Kompromisse könnte es bei einem weiteren, besonders umstrittenen Punkt geben. So will die Kommission die Mittel aus den Strukturfonds künftig konditionalisieren. Ein neuer Mechanismus soll dafür sorgen, dass die Mittel gekürzt oder ausgesetzt werden können, wenn bestimmte Standards in Sachen Rechtsstaatlichkeit nicht eingehalten werden. Dieser Vorschlag richtet sich offensichtlich vor allem gegen die in Brüssel in Ungnade gefallenen Regierungen Polens und Ungarns.
Dass Warschau und Budapest dem Vorschlag zustimmen, ist daher unwahrscheinlich. Die Kommission will daher eine gemeinsame Veto-Position für die beiden Visegrad-Staaten verhindern und schlägt vor, dass solche Beschlüsse mit einer so genannten umgekehrten qualifizierten Mehrheit gefasst werden. Den Mechanismus als solchen muss sie aber dennoch erstmal durchbringen. Der EU-Haushalt kann nur bei Einstimmigkeit unter den Mitgliedsstaaten verabschiedet werden.
Zustimmung erhält die Kommission für diesen Ansatz aus der konservativen EP-Fraktion: „Künftig soll die Vergabe von EU-Fördergeldern an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten gekoppelt werden. Auch die Beteiligung an der Bewältigung der Migrationskrise und Integration von Flüchtlingen wird mitberücksichtigt werden. Dies ist ein richtiger, längst überfälliger Schritt. Länder wie Polen oder Ungarn, in denen es um die Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung schlecht bestellt ist, werden lernen müssen, dass die Mitgliedschaft in der EU auch mit Pflichten verbunden ist und Solidarität in beide Richtungen gehen muss“, teilte etwa der CDU-Abgeordnete Karl-Heinz Florenz mit.
Die Haushaltsdebatte ist also ein vermintes Feld. Ob es der Kommission heute gelang, einige der Minen aus dem Weg zu räumen und die Debatte voranzubringen, wird sich zeigen. Das Ziel bleibt ambitioniert: Noch vor den EU-Wahlen im Juni 2019 soll die Einigung unter Dach und Fach sein. Andernfalls könnte es zu erheblichen Verzögerungen kommen, denn bis ein neues Parlament und eine neue Kommission eingerichtet und arbeitsfähig sind, können Wochen, vielleicht gar Monate vergehen.