Eine neue veröffentlichte Umfrage zeigt, dass Millionen von Europäern aus Geldmangel auf lebenswichtige Güter wie Gesundheitsversorgung und Lebensmittel verzichten. Selbst in wohlhabenderen Ländern sind Menschen gezwungen, bei lebensnotwendigen Dingen Abstriche zu machen.
Die Umfrage der französischen Wohltätigkeitsorganisation Secours Populaire analysiert Daten zur Armut in neun europäischen Staaten: Frankreich, Deutschland, Polen, Italien, Serbien, Portugal, Rumänien, Moldawien und das Vereinigte Königreich (UK). Am Donnerstag (12. September) stellten Ipsos und Secours Populaire die Ergebnisse vor.
„Die COVID-Krise und der Krieg in der Ukraine haben eine noch nie dagewesene Preisinflation ausgelöst, die zu einer Wirtschaftskrise geführt hat, die alle europäischen Staaten betrifft“, erklärte Sébastien Thollot, Generalsekretär von Secours populaire, gegenüber Euractiv.
Fast drei von zehn Europäern (29 Prozent) geben an, dass sie sich derzeit in einer prekären Situation befinden, was ihre Zahlungsfähigkeit angeht. „Je ärmer das Land, desto größer die Auswirkungen“, sagte Thollot.
So geben beispielsweise 20 Prozent der Griechen und 14 Prozent der Moldawier an, dass sie Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen. In den wohlhabenderen Staaten ist diese Zahl niedriger: Franzosen und Italiener gaben dies zu jeweils fünf Prozent an, während es sechs Prozent für Polen, Briten und Portugiesen sind. Für Deutsche sind es wiederum acht Prozent.
„In Griechenland ist die Wirtschaftskrise von 2008 noch nicht überwunden und hat eine prekäre Situation geschaffen, von der sich das Land nicht erholen kann“, so Thollot.
Die Republik Moldau, hat eines der niedrigsten Bruttoinlandsprodukte (BIP) in Europa und wurde durch den russischen Krieg gegen die Ukraine und den Zustrom ukrainischer Flüchtlinge weiter geschwächt.
Umgekehrt werden „Probleme der Unsicherheit oft besser abgefedert, wenn es soziale Sicherungssysteme gibt“, sagte Thollot. Dabei verwies er besonders auf Staaten wie Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich.
Doch selbst in Staaten mit einem höheren Bruttoinlandsprodukt waren die Menschen gezwungen, bei lebensnotwendigen Dingen wie Ernährung, Heizung oder Gesundheitsversorgung Abstriche zu machen.
Sackgasse bei der Gesundheit
Knapp mehr als jeder dritte Europäer (34 Prozent) hat der Umfrage zufolge aufgrund seiner finanziellen Lage bereits auf eine Gesundheitsversorgung verzichtet.
Angesichts dieser „äußerst besorgniserregenden“ Zahl schlägt Sébastien Thollot die Alarmglocken: „Hinter der Verweigerung der Gesundheitsversorgung verbergen sich auch haushaltspolitische Konsequenzen für die Mitgliedstaaten, die indirekt betroffen sind.“
Der fehlende Zugang zur Gesundheitsversorgung kann zu einer Verschlimmerung des Krankheitszustands der am stärksten betroffenen Personen führen. „Menschen, die nicht behandelt werden können, verursachen Kosten für die Gemeinschaft als Ganzes“, erklärte Thollot.
Der Zugang zur Gesundheitsfürsorge ist auch von Staat zu Staat unterschiedlich, denn „je reicher ein Land wie Frankreich oder Deutschland ist, desto besser ist der Zugang zu Gesundheitstechnologien und Medikamenten“, so Thollot gegenüber Euractiv.
Europäischer Weckruf
Die Umfrage warnt auch davor, dass ein Arbeitsplatz keine Garantie mehr für finanzielle Sicherheit ist. 35 Prozent der Europäer geben an, dass ihr Einkommen nicht ausreicht, um alle Ausgaben zu decken.
Angesichts der zunehmenden Prekarität in Europa fordert die Wohltätigkeitsorganisation Secours Populaire die politischen Verantwortlichen auf, mehr zu tun.
„Die europäischen Konjunkturprogramme nach dem Ende des Kalten Krieges waren Sicherheitsnetze, aber diese Pläne laufen aus, und die ärmsten Menschen werden die ersten Opfer sein“, warnte Thollot.
Da die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wahrscheinlich nächste Woche das neue Kollegium der Kommissare ernennen wird, rufen Wohltätigkeitsorganisation wie Secours Populaire und dessen europäische Partner zu einem gemeinsamen Appell auf.
„Gesundheits- und Sozialfragen waren in dieser Amtszeit das Stiefkind, wie auch schon in der letzten Amtszeit. Die europäische Antwort muss stärker sein.“
[Bearbeitet von Catherine Feore/Martina Monti/Kjeld Neubert]