Die Studien-Lehrpläne müssten reformiert werden, wenn systemisch-rassistische Voreingenommenheit in der Medizin beseitigt werden soll, so Studierende und Lehrende der Universität Bristol. Sie erklären, die medizinische Ausbildung müsse unbewusste Vorurteile und deren Auswirkungen auf das ärztliche Urteilsvermögen thematisieren und aufarbeiten.
„Der Rassismus in der Medizin und der Mangel an Vielfalt in unserer medizinischen Ausbildung hat Auswirkungen, die im gesamten Gesundheitssektor zu spüren sind: Er wirkt sich auf Studierende, Ärztinnen und Ärzte und vor allem auf die Erfahrungen schwarzer, asiatischer und anderer Angehöriger ethnischer Minderheiten im Gesundheitswesen aus,“ kritisiert Eva Larkai, Medizinstudentin an der Universität Bristol und Vorsitzende von BME Medics, einer Plattform für Studierende und medizinische Fachkräfte.
Im Gespräch mit EURACTIV.com erklärt sie, dass unbewusste rassistische Voreingenommenheit zu negativen gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen auf und in sogenannten BME-Communities (Black and Minority Ethnic) im Vereinigten Königreich geführt habe.
Beispielsweise könnten Symptome und andere wichtige klinische Anzeichen und Zustände in den verschiedenen ethnischen Gruppen unterschiedlich auftreten, erklärt Larkai. In den Lehrbüchern sind diese essenziellen Unterschiede hingegen oftmals nicht zu finden. „Fast jede Hauterkrankung tritt bei dunkleren Hauttönen anders auf, von häufiger auftretenden und eher harmlosen Erkrankungen wie Ekzemen bis hin zu Ausschlägen in Verbindung mit Infektions- oder Autoimmunkrankheiten und sogar Hautkrebs,“ so Larkai.
Diese Tatsache könnte im schlimmsten Fall über Leben und Tod entscheiden, warnt auch Dr. Joseph Hartland, Dozent an der Medizinfakultät der Universität Bristol.
Hartland, der sich auch für die Förderung von Vielfalt in der Abteilung und im Lehrplan einsetzt, verweist vor allem auf das Beispiel Meningitis, die am häufigsten durch einen ausgeprägten Ausschlag diagnostiziert werden kann. Eine einfache Google-Suche nach Studienmaterial zeige jedoch, dass die überwältigende Mehrheit der Fallbeispiele auf weißer Haut gezeigt werden – obwohl sich die Krankheit auf schwarzer Haut anders darstellt.
„Wie schnell Sie diese Art von Erkrankungen behandeln und erkennen, kann eine Frage von Leben oder Tod sein, denn jede Minute zählt,“ mahnt Hartland und betont, dass Schlüsselsymptome bei der Entscheidungsfindung übersehen werden könnten, wenn die Ärzte nicht speziell darin geschult sind, Symptome auch bei nicht-weißen Patientinnen und Patienten schnell und sicher zu erkennen.
Diese Voreingenommenheit könne sich aber auch auf deutlich indirektere Weise manifestieren. Hartland verweist auf neuere Studien, die gezeigt haben, dass BME-Patienten im Vereinigten Königreich, darunter auch Kleinkinder, aufgrund unterbewusster Vorurteile in Bezug auf Schmerzschwellen im Durchschnitt oft weniger Schmerzmittel erhalten als ihre weißhäutigen Pendants.
Misstrauen und Vorsicht
Auch die COVID-19-Pandemie mache deutlich, wie wichtig es sei, gegen systemischen Rassismus in der Medizin vorzugehen, so Hartland.
So gebe es in einigen farbigen Communities ein historisch gewachsenes Misstrauen gegenüber medizinischen Fachkräften: „Wir haben gesehen, dass die BME-Communities zu den am stärksten von COVID-19 bedrohten und betroffenen Gruppen gehören. Aber sie neigen gleichzeitig auch dazu, am wenigsten Vertrauen in die Ärzteschaft zu haben.“ Fälle von Vertrauensmissbrauch – insbesondere bei medizinischen Studien – hätten über Generationen hinweg Misstrauen hervorgerufen und gefestigt.
Dies berge darüber hinaus das Risiko, dass Menschen aus diesen Gemeinschaften Impfstoffen gegen COVID-19 skeptisch gegenüber stehen könnten – ein Thema, das bei der Einführung eines Impfstoffs berücksichtigt werden müsse, meint Hartland.
Hartland und Larkai machen beide deutlich, dass die Probleme nicht auf das Vereinigte Königreich beschränkt sind.
Vielmehr seien Ärztinnen und Ärzte auf der ganzen Welt nicht ausreichend ausgebildet, um multiethnische Bevölkerungen angemessen zu versorgen: „Dieses Thema ist nicht isoliert auf das Vereinigte Königreich beschränkt, sondern für medizinische Einrichtungen weltweit relevant. Wenn in der medizinischen Ausbildung, die wir erhalten, nicht versucht wird, diese Probleme anzugehen, werden die gesundheitlichen Ungleichheiten unweigerlich bestehen bleiben oder sich sogar ausweiten,“ warnt Larkai.
Aktionsplan gegen Rassismus
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich vorgenommen, Rassismus in der EU zu bekämpfen. In ihrer ersten Rede zur Lage der Union kündigte die deutsche Politikerin einen neuen EU-Aktionsplan für eine „Union der Gleichheit“ und zur Bekämpfung von Rassismus an.
In ihrer Rede im Juni versprach sie: „Wir werden für mehr Wissen und Aufklärung über die historischen und kulturellen Ursachen von Rassismus sorgen. Wir werden gegen unbewusste Vorurteile angehen.“
Ein guter Startpunkt dafür sei das Bildungswesen, betont Hartland: „Wir müssen damit beginnen, dies in den Medizin-Studienplan aufzunehmen, um die nächste Generation von Ärztinnen und Ärzten angemessen auszubilden.“
Seiner Ansicht nach geht damit auch einher, eine höhere Quote an farbigen Personen unter den Medizinstudierenden zu erreichen.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]